Forschung unter der Leitung des Genfer Universitätsspitals (HUG), der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) an der Universität Bern (UniBE) und der Universität Genf (UNIGE) lässt darauf schliessen, dass die direkte Wahrnehmung von Schlaf und Wachheit sowie Grundlagen der Schlaf-Wach Regulation bei Patientinnen und Patienten mit Insomnie oft intakt sind. Diese Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass PatientInnen und Fachpersonen im Gesundheitssystem die Schlafqualität verbessern können, indem sie anstelle einer medikamentösen Behandlung die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) – die empfohlene Erstlinienbehandlung für Insomnie – anwenden. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Scientific Reports zu lesen.
Schlaf ist grundlegend für eine gesunde Funktionsfähigkeit. Insomnische Störungen sind weit verbreitet und betreffen zwischen 5 und 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Das grösste Problem, die subjektiven Beschwerden über weniger oder weniger guten Schlaf, wird aber bei objektiven Schlafmessungen oft nicht beobachtet.
Eine Forschungsarbeit unter der Leitung von Carlotta Schneider, Doktorandin und Psychotherapeutin in Ausbildung an den UPD und der UNIGE in der Forschungsgruppe von Prof. Christoph Nissen, Chefarzt für Psychiatrie, Direktor des Zentrums für Schlafmedizin der HUG und Professor am Departement für Psychiatrie der Medizinischen Fakultät der UNIGE, untersuchte den Schlaf und wiederholte gezielte
Intaktes Schlaf-Wach-Regulationssystem
Nach zwei Nächten zur Eingewöhnung und Erfassung von Basisdaten zu Schlaf wurden die Teilnehmenden beider Gruppen in der darauffolgenden Versuchsnacht während des Non-REM-Schlafs bis zu 12 Mal mit einem vibrierenden Armband geweckt und mit einem automatisierten Interview befragt, ob sie geschlafen hatten oder wach gewesen waren.
Bei ungefähr der Hälfte der Weckungen berichteten die Teilnehmenden beider Gruppen, dass sie geschlafen hatten, während sie bei der anderen Hälfte der Weckungen angaben, wach gewesen zu sein. In beiden Gruppen war die Wahrnehmung von Wachheit mit hochfrequenter Hirnaktivität im Schlaf vor der Weckung verbunden, die als Indikator für wachähnliche Hirnaktivität im Schlaf betrachtet wird. Obwohl die PatientInnen erhebliche subjektive Schlafprobleme berichteten, unterschieden sich die objektiven Schlafparameter und die direkte Schlaf-Wach-Wahrnehmung nicht massgeblich von jenen der gesunden Teilnehmenden.
Die Ergebnisse stützen ein neueres Konzept einer physiologischen Persistenz von wachähnlicher Aktivität während des Schlafs (Schlaf-Wach-Kontinuum), das über die traditionelle Auffassung von klaren Schlaf-Wach-Grenzen hinausgeht. Die Ergebnisse stützen auch andere Forschungsresultate, laut denen Schlaf-WachRegulationssysteme bei PatientInnen mit Insomnie gemäss aktuell gebräuchlichen Schlafmessungen oft intakt sind. Beschwerden scheinen sich eher mit der Zeit aufgrund von anhaltenden kognitiven, emotionalen und Verhaltensmechanismen zu entwickeln, die weiter zu erforschen sind.
Die Ergebnisse haben eine mögliche Bedeutung für Konzepte von Insomnie und Schlaf-Wach-Regulation sowie für die Entwicklung künftiger Behandlungen. Sie stützen die Annahme, dass viele PatientInnen – nach Ausschluss spezifischer organischer Schlaf- oder anderer Störungen – lernen können, ihre Schlafbeschwerden mit der heutigen Erstlinienbehandlung KVT-I zu bessern. Für kurzfristige Behandlungen kann eine Arzneimitteltherapie angeboten werden, die aber mit der Gefahr von Nebenwirkungen sowie einer Toleranzentwicklung und Abhängigkeit verbunden sein kann. Derzeit laufen weitere Studien zum Konzept des Schlaf-Wach-Kontinuums, zu potenziellen Patientenuntergruppen und zu einem breiteren Einsatz von KVT-I.
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